Rassismus-Sensibel

„In einer perfekten Welt würde der:die Psychotherapeut:in selbst signalisieren, dass Rassismuserfahrungen besprechbar sind“, sagt Timo Slotta, Psychotherapeut und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität zu Köln im Interview mit der Zeit.

Und weiter: „Patient:innen sollten keine Nachhilfe in Rassismus geben müssen.“

Was ist Rassismus und Diskriminierung?

Damit ist „eine abweichende, meist abwertende Behandlung von Menschen aufgrund ihres kulturellen Hintergrunds oder ihrer Hautfarbe gemeint. Den Betroffenen wird dabei das Gefühl vermittelt, nicht dazuzugehören. Das kann stark kränken und verunsichern und in manchen Fällen eine traumatische Erfahrung sei … Neben Menschen aus anderen Kulturen können auch andere Minderheitsgruppen von Diskriminierung betroffen sein, zum Beispiel Menschen mit einer anderen sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität.“ https://www.therapie.de/psyche/info/therapie/interkulturelle-psychotherapie/rassismus-und-psychotherapie/

Warum interessiert mich das Thema überhaupt?

Einerseits lebe und arbeite ich in einer multikulturellen Stadt und viele meiner Klient:innen haben nicht-deutsche Wurzeln. Im Jahr 2020 sind es 40% der Einwohner aus insgesamt 180 Nationen https://www.stadt-koeln.de/mediaasset/content/pdf15/statistik-einwohner-und-haushalte/ksn_10_2021_nationalit%C3%A4ten_in_k%C3%B6ln.pdf Andererseits habe ich durch meine Heirat mit einem Namibier einen nicht-deutschen Nachnamen, Kinder, die nicht „typisch deutsch“ aussehen – und vielfältige Erfahrungen mit Rassismus aus genau diesen Gründen gemacht, auch im deutschen Gesundheitssystem.

Meine psychotherapeutischen Kolleg:innen sind meist weiß und deutsch, die meisten ohne eigenen Bezug zum Thema Rassismus. Das Thema Rassismus ist für sie meist keines – denn sie sind einfach nicht betroffen. Es ist auch kein großes Thema in der Psychotherapie, nicht in den psychotherapeutischen Gesprächen und auch sehr selten in der Ausbildung.

Ich finde das sehr bemerkenswert. Denn ich höre immer wieder von Klient:innen: Diskrimierung und Rassismus im Alltag, in der Arbeitswelt, im Gesundheitswesen und auch in der Psychotherapie haben sie schon erlebt – vor allem PoC (People of Color) berichten davon.

Zuletzt fiel mir die GEO 09/2015 zufällig in die Hand – das ist 10 Jahre her. Das Titelstory ist „Deutschland remixed – Die neuen Gesichter unserer Gesellschaft“. Porträtiert werden Menschen, die einen Elternteil mit Migrationshintergrund haben genauso wie solche, bei denen beide Elternteile nicht deutscher Herkunft sind. 

Es entstehen „neue“ Gesichtszüge, die uns verwirren, da sich nicht mehr in alter Gewohnheit auf eine bestimmte Ethnie oder kulturelle Identität schließen lässt. „In ihrer Uneindeutigkeit verkörpern sie das Ende vermeintlich homogener Gesellschaften: Sie sind die Gesichter der Zukunft.“

Interessant ist in dem Artikel die Unterscheidung zwischen Geburtsort, Staatsangehörigkeit, familiäre Wurzeln, Selbstbeschreibung und Fremdbeschreibung. Ein Beispiel: Shasa Kaczmarek, Geburtsort Hannover, Staatsangehörigkeit deutsch, familiäre Wurzeln deutsch-nigerianisch-pakistanisch-polnisch, Selbstbeschreibung Hannoveraner und Deutscher, Fremdbeschreibung Brasilianer und Marrokaner.

Offener Rassismus ist existent in unserem Land, in der psychotherapeutischen Praxis findet sich wohl eher unbeabsichtigte und naive Diskriminierung – die Auswirkungen rassistischen Handelns bestehen jedoch unabhängig von der Intention.
Und Menschen, die eine diskriminierende Äußerung zum x-ten Male hören, haben auch davon mehr als genug. Sie wollen nicht schon wieder gefragt werden, von woher sie kommen oder hören, dass sie so gut deutsch sprechen oder bestimmt gut Basketball spielen können, weil sie groß und nicht-weiß sind.

In meiner Arbeit als Psychotherapeutin interessiere ich mich für Ihre Erfahrungen, für Ihren kulturellen Hintergrund, Ihre Familie, Ihre Traditionen, … alles, was Sie als Menschen ausmacht. Und auch für Ihre Erfahrungen mit Diskriminierung und Rassismus – falls es wichtig für die Lösung Ihres Anliegens ist. 

Ganz spannend wird es oft in der Paartherapie, wenn ein Paar bi- oder multinational ist. Das muss kein Problem sein, es kann eine Bereicherung sein. In der Therapie schaue ich mir gerne beide Seiten an.

Noch einmal ein Zitat aus der GEO, weil es so ein genialer Ausblick ist, wie ich finde. Cornelia sagt da: „In 200 Jahren funktioniert so eine Geschichte, wie ihr sie jetzt macht, hoffentlich nicht mehr. Spätestens dann sind alle so vermischt und vereint, dass es ein großes Ganzes ergibt.“